WHEN THE FATHER WITH THE SON
Berlin-Schöneberg, Stübbenstraße 7
Jahr der Fertigstellung: 2009
Auftraggeber: Allbewo, Berlin Immoblien
Photos: Cornelia Beitl
Presseberichte:
Welt am Sonntag vom 7. Juni 2009
"Die Illusion der 3. Dimension"
Gert Neuhaus hat sich der Malerei mit räumlichen Effekten verschrieben. Auf Berliner Brandwände zeichnet der Künstler Tempel, Schiffe und auch mal einen riesigen Schuh. Immer täuschend echt
von Dirk Westphal
DIE GROSSEN Werbetafelmalereien in Amerika hatten es ihm angetan. Darauf fein ziselierte, extrem detailgetreue Gestalten in Polaroidfarben. Mädchen mit Colgate-weißen Zähnen in knallig-bunten Petticoats, überlebensgroße und Marlboros rauchende Cowboys oder Coca-Cola-Dosen-knackende Jugendliche. Gert Neuhaus ließ sich von den Billboards und Plakaten der 60er-Jahre inspirieren, die Tankstellen, Hauswände oder mitunter sogar Wolkenkratzer in Manhattan oder Los Angeles schmückten. Auf Berliner Hauswände drapiert der Maler seit den 70er-Jahren seine Variante des Realismus, malt auf Giebel, Brandwände und Fassaden riesige Bilder. Keine mit fotorealistischen Werbegestalten, aber ebenso detailgetreu gezeichnete Bilder. Bilder, die mit der Illusion eines dreidimensionalen Effektes spielen: Paläste, Titanic"-gleiche Schiffsrümpfe, die sich durch Hauswände schieben, überdimensionale Turnschuhe oder auch Bilder, die scheinbar einen Blick in eine andere Welt gewähren. An der Stübbenstraße 7 in Schöneberg hat der 70-Jährige vor wenigen Tagen eine solche Arbeit fertig gestellt, sein fünfzigstes Wandbild. Auf eine Brandwand malte er eine Treppe, die in einen Wald mündet. In Höhe der Baumwipfel zeichnete eine Terrasse. Auf ihr sitzen zwei Menschen Zeitung lesend an einem Tisch. „Wenn der Vater mit dem Sohne" hat er es genannt. Das Bild erinnert an Aufnahmen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Als einige Berliner in ihren Wohnungen saßen, sich in Normalität übten, obschon die Hauswand vor ihnen weggesprengt war und jeder von außen in die Wohnung blicken konnte. Der Zweite Weltkrieg schaffte auch die Basis für Neuhaus, erschaffte seine Arbeitsfläche. Die von Weltkriegsbomben freigelegten Brandwände. Dass erste Mal, dass Neuhaus „bewusst" Fassadenmalerei wahrnahm, war nach dem Zweiten Weltkrieg, als er Bremen besuchte. Dort hatten Jugendliche Bunker bemalt, in denen einst U-Boote oder „Vergeltungs"-Waffen gefertigt wurden. Es waren großflächige Arbeiten, eine Frühform des Graffito und für Neuhaus die „Initialzündung". Er sagt das, während er auf einem Sessel in seinem Wohnzimmer Platz nimmt und zur Teekanne greift. An der Wand hängt die Büste einer polnischen Prinzessin von Daniel Rauch, im Nebenraum ein Gemälde Friedrichs des Großen. Es ist eine vergrößerte Kopie nach Vorlage von Antoine Pesne, einem der Künstler, die Neuhaus bewundert. „Ein Großer", sagt er. Auch James Rosenquist gehört dazu, einer der Großen der Pop-Art. Neuhaus' Karriere als Fassadenmaler war nicht absehbar. Sein Vater war AEG-Manager, seine Mutter Hausfrau, allerdings, wie Neuhaus sagt, „eine mit Kunstsinn und -verstand". Am Kriegsende war der damals Sechsjährige in Dresden „ausgelagert", nach 1945 kehrte er mit seinen Eltern nach Berlin zurück, machte Abitur und studierte Bildende Kunst im „Parforcetempo" an der Hochschule der Künste. Danach arbeitete der Künstler als Grafiker, ging an die Letteschule, unterrichtete Aktmalerei und Architektur und assistierte in der Folge dem Maler Matthias Koeppel, der sehr detailgetreu auch das Berlin der Nachwendezeit mit Öl und Leinwand bildlich festhielt. Gert Neuhaus begann mit seiner Kunst, als er Mitte der 70er-Jahre über einen befreundeten Architekten den Auftrag erhielt, am Buckower Damm die Hauswände einer Siedlung zu bemalen. Er wählte ein Motiv, das Technik mit Natur verband, Stahlplatten mit grünem Wildwuchs. In der Folge baten ihn Hauseigentümer, für sie zu arbeiten, und das tat er, in großem Maßstab. Neuhaus spielte mit optischen Täuschungen, motzte Brandwände zu vermeintlich kompletten Häusern auf, verlängerte oder verkürzte Perspektiven, hob durch geschickt gesetzte Striche und sorgsam ausgewählte Farbnuancen die gewohnten räumlichen Perspektiven auf. Etwa am Spandauer Damm 111, wo Neuhaus aus einem tristen Hinterhof eine kleine, pittoreske Erlebnislandschaft werden ließ. Auf eine Brandwand malte er einen Renaissancepalast, daneben ein Häuschen, wie man es vielleicht in einer englischen Kleinstadt vermutet. Über einem der Fenstergiebel drapierte er einen Schlussstein aus Stuck, das einzig echte Dreidimensionale in dieser Großwandillusion. Dass vor dem bis auf dem Boden reichenden Bild mitunter auch einige echte Mülltonnen stehen, stört den Gesamteindruck der Arbeit nicht. Der imaginäre Bewohner des kleinen Häuschens könnte sie dort aufgestellt haben. Neuhaus amüsiert es, wenn seine Arbeiten „etwas irritieren", wenn sie in seinem Sinne funktionieren. „Illusionsmalerei" nutzten Maler schon in der Antike und Renaissance. Sei es zur Ausschmückung von Innenräumen, oder um einen Raum größer erscheinen zu lassen. Die Schaffensepochen, die Neuhaus für interessant hält, sind überschaubar. „Der bayerische Barock, sicher, der war so heiter, so verspielt, ließ Fehler zu; und dann wären da noch die Färb- und Formenexplosionen von Jackson Pollock." Anfang der 60er-Jahre hätten Arbeiten von Jackson Pollock in der Hochschule der Künste gehangen, erinnert Neuhaus. Werke, die ihm die Sprache nahmen, weil sie zeigten, „wie unbändig und gekonnt ein Künstler da die Sau rausließ". „Nach Pollock", wusste Neuhaus für sich, „konnte nicht mehr viel kommen." Die Vorstellung, als Künstler Neues schaffen zu können, war für ihn „angekratzt". Damals hat Neuhaus auch den jungen Markus Lüpertz kennengelernt und Baselitz, die damals weniger bekannt waren und heute Stars sind. Dass Lüpertz sich bei einer Vernissage an seine Seite stellen würde, glaubt Neuhaus nicht. „Die Jungs wären sich zu fein", mutmaßt er, der seinen Arbeitsbereich als „Biotop" oder „Nische" beschreibt. Es waren Nischen, die Neuhaus in den 80er- und 90er-Jahren gut ernährten. Umgerechnet 75 000 Euro bekam er damals für eine Wandmalerei, heute sind es im Schnitt nur noch um die 25 000 Büro, wenn es hoch kommt. Warum Hauseigentümer nun so viel weniger zahlen, weiß auch Neuhaus nicht. Vielleicht weil heute Zuschüsse für Fassadensanierungen, bei denen auch er mal zum Zuge kommt, von den Bauherren anders verteilt werden. „In dem Gewerbe hat doch jeder seinen Lieblingspupsi", sagt Neuhaus.
Er jedenfalls habe sich nie nach dem ganz großen Geld gereckt. „Das war immer zu sehr auf Ellenbogen angelegt", sagt Neuhaus, „da hab ich gleich gesagt, das ist nichts für mich." Auch weil die Kunst für einige Bauherren nur eine Alibifunktion gehabt hätte. Neuhaus' Wohnung liegt in einem gutbürgerlichen Altbau in Charlottenburg, ein Urberliner Kiez zwischen Seesener Straße und Kurfürstendamm. Nicht weit von seinem Haus, an der Zillestraße 100, ist eines der bekanntesten und ältesten Wandbilder von ihm zu sehen. Sie stammt von 1979, heißt „Reißverschluss" und schmückt eine ganze Wand. Andere Werke, die einst Häuser¬seiten zierten, sind längst verschwunden. Entweder weil die Gebäude abgerissen wurden oder weil neue Häuser die Wandbilder zudeckten. Zu Neuhaus' derart verschwundenen Werken gehört auch der riesige Turnschuh, der jahrzehntelang eine Häuserecke gegenüber vom Rathaus Neukölln zierten. Durch den Bau eines Einkaufscenters wurde es verdeckt. Neuhaus konnte es nicht verhindern. „Für meine Art der Kunst gibt es kein Copyright, und sie ist auch nicht übertragbar", sagt er und lächelt dabei ein bisschen wehmütig, so als habe er das Verschwinden seiner Kunst längst als naturgegeben akzeptiert. Auch gebe es in Berlin ja noch „ausreichend viele leere Wände". Wie viele Künstler es in Berlin gibt, die Ähnliches machen, weiß Neuhaus, der auch Fassaden in Dresden, Jena, Erfurt, Leipzig und Frankfurt am Main bemalte, nicht. Aber die Zahl der Wandbilder in Berlin kennt er schon. Um die 400 seien es wohl, sagt er. Dass es auch andere Maler gibt, die im Berliner Stadtraum ebenfalls großflächig mit Kunst aufwarten, ficht Neuhaus nicht an. Friedrich Ernst von Garnier zum Beispiel ist einer von ihnen. Im Auftrag von Berliner Wohnungsbaugesellschaften versah der Vater der Regisseurin Katja von Garnier triste Plattenbauten mit neuen, mitunter gewöhnungsbedürftigen Farbkombinationen. Ein Wohnblock an der Mollstraße, östlich des Alexanderplatzes, gehört dazu. Große rose- und ockerfarbene Schlieren ziehen sich seither über die Fassade. Ob es die Bauten verschönert hat, bleibt als Wertung dem Betrachter überlassen. Neuhaus sagt, dass er mit Farbe „gern etwas für das Stadtbild tun" möchte. Allen wird vielleicht auch seine Kunst nicht gefallen, in viele Bildbände und Reiseführer über Berlin hat sie es aber geschafft. Mit optischen Täuschungen wie Neuhaus, nur auf dem Boden und nicht an Wänden, arbeiteten 2005 auch Künstler am Potsdamer Platz. Im Auftrag einer internationalen Agentur malten sie auf das Straßenpflaster eine verschreckende Illusion. Menschen an den Kufen eines Hubschraubers hängend, unter ihnen eine Häuserschlucht. „Stunt City" hieß die Arbeit - ein Riesengemälde aus Kreide, 20 Meter lang und 15 Meter breit, faszinierend real durch einen wirkungsvollen 3-D-Effekt. Die Passanten fanden sich auf dem imaginären Fenstersims eines 22. Stockwerks wieder. Auch Gert Neuhaus nutzt solche Effekte gern. Innerhalb Europas seien sie „eine echte Berliner Spezialität". Und davon werde er noch etwas liefern. Man darf gespannt sein.
Mitarbeit: ]essica Schulte
BW