ZIPPER
Zillestraße 100
Berlin
Jahr der Fertigstellung: 1979
Photo: Hans Redmann
Presseberichte:
stern Magazin vom 30.März 1988
"IMMER AN DER WAND LANG"
Der Grafiker Gert Neuhaus zaubert auf triste Mauern Krämerläden, luftige Arkaden und witzige Verpackungen. Neuhaus ist einer der ersten Fassadenmaler Berlins.
Vielleicht auch der letzte: Den Bauherren wird die Verschönerung zu teuer.
Von WERNER MATHES
Am Wochendende, wenn die Busse kommen, stellt Fredi Schulz die Klingel ab. Der Hausmeister in der Zillestrasse 100 im Berliner Bezirk Charlottenburg will nicht von den Schaulustigen belästigt werden, die ins Treppenhaus und in den Hinterhof drängen. Von dort nämlich hat man den besten Blick auf die mächtige Brandmauer des Nachbarblocks.
Die Wand ist eine von 17, die der Berliner Gebrauchsund Industriegrafiker Gert Neuhaus im Laufe von zehn Jahren bemalt hat. Ein haushoher »Reissverschluss«, im oberen Drittel geöffnet, legt eine wunderschöne Gründerzeit-Fassade frei - gepinselte Illusion.
»Die Leute fragen mich oft, weshalb der Reissverschluss nicht weiter runtergezogen worden ist«, sagt Haus- und Kunstverwalter Schulz. Ganz einfach: weil gespart werden musste. Gert Neuhaus, 1979 von einer Wohnungsbaugesellschaft mit der Bemalung der öden Mauer beauftragt, hatte erst einen anderen Entwurfvorgelegt: einen riesigen Reissverschluss, der vor einem bisschen unbemalter Fläche klaffte. Zu teuer, sagten die Bauherren.
Da schlug seine Frau vor, einfach alles umzudrehen und nur den Ausschnitt zu bemalen. Das war billiger, in knappen fünf Wochen zu malen, die Auftraggeber als auch später die Mieter des Hauses Zillestraße 100 waren zufrieden.
»Ich gehöre in Berlin zu den ersten Fassadenmalern und wahrscheinlich auch zu den letzten«, sagt Neuhaus. Obwohl im April die Saison beginnt, ist sein Auftragsbuch derzeit so gut wie leer: »Das Interesse an dieser Stadtverschönerung hat rapide nachgelassen.«
Nicht bei den Touristen, für die wurden schließlich die hundert bemalten Fassaden Berlins in die Stadtrundfahrten einbezogen.
Die Zuschauer können sich kaum vorstellen, dass Neuhaus nicht ganz schwindelfrei ist: »Da oben gibt es Turbulenzen, man steht da total im Wind.« Deswegen hat er meist mit einem Freund zuiammengearbeitet, den er, vom Boden aus, mit einem Funksprechgerät dirigierte: »Unser Gerüst dient gleichzeitig als Raster für die Übertragung der Skizzen auf die Großflächen.«
Am liebsten malt er mit Acrylfarben. Das setzt allerdings stabilen Untergrund voraus. Alte Häuser müssen erst mal frisch verputzt oder zumindest mit wasserlöslichem Tiefengrund stabilisiert werden. Sonst kann's passieren, dass die Bemalung schnell wieder runterblättert. Bei einem Honorar von 20 000 bis 35 000 Mark für eine Fläche von 800 Quadratmetern - ohne Farbe, Putz und Rüstung - kann sich Neuhaus keine Fehler leisten: »Sonst steigen mir die Bauherren aufs Dach.«
»Manche sind sowieso auf Sonnenblumen oder Madonnen fixiert. « Doch die hat er nie gemalt. Seine »Zwei Verschnürungen « in Neukölln wurden im berühmten Berliner Volksmund schon zum »Turnschuh« – und der ist heute eines der Wahrzeichen vom Kiez.
Noch nicht so bekannt ist seine »Gebrochene Fassade« am Haus 30-32 in der Kreuzberger Obentrautstrasse. Vor zwei Jahren schuf Neuhaus hier eine perfekte optische Täuschung: Auf platter Wand entstand eine Gebäudeecke mit Simsen und Erkern in Grau und Weiss. Passanten treten da schon mal näher und berühren verdutzt die glatte Fläche.
In Charlottenburg fummelte Neuhaus am »Spandauer Damm 111-113« einen kleinen englischen Krämerladen auf den Putz. Gleich daneben hat der 49jährige, der im Lette-Verein den Schülern »ein bisschen Kunst und das lockere Denken« beibringt, sein Atelier. »Wenn hier wirklich nichts mehr geht«, sagt Gert Neuhaus, »dann gehe ich woanders hin.« Adressen von Interessenten aus dem Ausland hat er sich schon vorsorglich notiert.